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Digitale Nomaden

Rückenansicht mit Aussicht auf Meer: Ich wette, Sie kennen das Motiv. Wenn nicht, geben Sie mal „Digitale Nomaden“ in die Google Bildersuche ein: Da sehen Sie dann luftig bekleidete junge Menschen im Schneidersitz am Strand, auf dem Schoß das aufgeklappte Laptop, im Hintergrund das Meer, die Finger scheinen locker, aber konzentriert über die Tastatur zu fliegen. Meer und Sand sind Konstanten, wobei es Varianten gibt (digitaler Nomade mit Laptop auf Palme oder Surfbrett). Kurz: Ein Traum. Ein Instagram-Post, ein Sechser im Lotto, ein Leben in Sonnenuntergangsrosa. So arbeitet der digitale Nomade heute.

Wann, wenn nicht jetzt!

Das will ich auch. Zumindest versuchsweise. Vor allem, wenn in Hamburg mal wieder Frühlingwinter in Schmuddelgrau herrscht, also irgendwie immer. Wikipedia klärt mich auf:

Ein digitaler Nomade (auch Internet-Nomade, Büronomade, urban nomad) ist ein Unternehmer oder auch Arbeitnehmer, der fast ausschließlich digitale Technologien anwendet, um seine Arbeit zu verrichten und zugleich ein eher ortsunabhängiges beziehungsweise multilokales Leben führt. (…)

Check: Digital ist mein Laptop schon, allerdings beschränkt sich mein ortsunabhängiges, multilokales Leben in der Regel auf Schreibtisch, Ottenser Cafes und Agentur-Einsätze in Hamburg. Nichts da mit lässig am Südseestrand. Aber das lässt sich ja ändern.

Telko am nächtlichen Maenam Beach?

Wie es der Zufall will, gibt es gerade einige Kunden, denen mein Aufenthaltsort herzlich egal ist – Hauptsache, Text & Timing stimmen. Ich könnte also genauso gut aus einem thailändischen Pfahlbau … Nein, kann ich natürlich nicht! Noch während mein Mittelfinger über der Tastatur schwebt, bereit, den „Jetzt buchen“-Button zu drücken, fällt mir das Thema Zeitverschiebung ein. Ich stelle mir vor, morgens um drei komplizierte Briefings mit ausgeschlafenen Kunden zu diskutieren. Keine Option.

Lieber WLAN auf den Kanaren.

Jetzt, wo der Wille nun mal da ist, bahne ich mir auch meinen Weg. Und der führt mich direkt auf die Kanaren (minimale Zeitverschiebung: gerade mal eine Stunde!), genauer gesagt nach La Gomera, die Lieblingsinsel einer tiefenentspannten deutschen Aussteigergemeinde. Achtsam und lässig ist man hier, irgendwie deutsch und irgendwie spanisch und in jedem Zustand extrem authentisch. WLAN gibt’s auch, ebenso ewigen Sonnenschein, Palmengrün und Atlantik. Ideal, um einen Monat lang zum digitalen Nomaden zu werden.

Schwarzer Sand verstopft USB-Anschluss.

Wichtigste Erkenntnis nach einem Monat La Gomera: Das mit dem „im-Schneidersitz-mit-Laptop-am-Strand-arbeiten“ ist natürlich totaler Bullshit. (Überraschung!) Und zwar aus mehreren Gründen:

  • Es ist so heiß! Zu heiß, um zu denken. Zwischen 13 und 17 Uhr pflegt man in Spanien sowieso die Siesta. Aber auch danach arbeitet da kein Mensch mit Laptop am Strand. Warum auch?
  • Laptops hassen feinen Sand. Für diese Erkenntnis musste ich das teure Teil nicht mal an den Strand schleppen: Der Sand (auf La Gomera ist der schwarz! Wunderschön!) ist sowieso überall. Und wer einmal versucht hat, kleine schwarze Sandkörnchen aus den Öffnungen eines MacBook zu pulen, weiß, wovon ich rede.
  • Alle baden, einer jobbt? Ist natürlich auch Quatsch. Die Wahrheit ist, dass alle baden und KEINER jobbt. Weil man an einem prima Strand in strahlendem Sonnenschein plantschen und schwimmen und rumliegen sollte, wie das seit Erfindung des Tourismus üblich ist. Aber nicht mit Laptop.
  • Schneidersitz ist keine natürliche Daseinsform. Schon gar nicht, wenn man noch was auf den Knien balanciert und der Schweiß für zusätzliche Rutschgefahr sorgt. Es hat schon seinen Grund, dass Menschen gern an Tischen arbeiten.

Top-Strategie: Timing anpassen!

Also passe ich mich den Gepflogenheiten des Landes an. Ich arbeite frühmorgens ein bisschen und abends ein bisschen mehr, und zwischendurch mache ich, was den Bedürfnissen des gesunden Menschen entspricht: rumhängen, baden, essen, plaudern, Siesta, und dann das Gleiche nochmal in umgekehrter Reihenfolge.

Frühmorgens haue ich am Küchentisch hochmotiviert in die Tasten, bis es mir zu warm wird. Späte Stunden am Laptop teile ich mir mit niedlichen Geckos, Zikaden und spanischem Bier aus der praktischen Literflasche. Die Nacht ist lau, die Gedanken fließen, der Sonnenbrand heilt, alles wird gut.

Am Strand herrscht Werbepause.

Der 8-Stunden-Tag ist hier sowieso nicht angesagt, und ganz generell ist man auf der Insel nicht unbedingt werbeaffin: Statt Kunden werden Chakren aktiviert, den Dialog sucht man eher mit dem inneren Kind als mit irgendeiner Zielgruppe. Kontakte werden nicht auf Xing generiert, sondern beim abendlichen Trommeln am Strand. Was nicht überraschend ist, aber überraschend angenehm: Auch ich gehe meinen Jobs nach kürzester Zeit deutlich entspannter nach als daheim. Ein echter Erfolg!

Nein, ich mache keinen Urlaub, …

Die Kommunikation mit der Heimat läuft. Beruflich gesehen. Was das private Umfeld betrifft, nervt sie aber auch ein bisschen. Weil nämlich viele nicht verstanden haben, dass ich nicht als Urlauber, sondern als digitaler Nomade unterwegs bin! Ein himmelweiter Unterschied. Sage ich, behaupte ich, betone ich, wenn es heißt „Hey, genießt du den Urlaub?“ oder „So gut hätte ich’s auch gern!“ Als Norddeutsche mit preußischem Erziehungshintergrund stelle ich dann richtig, wie diszipliniert ich auch hier meinen Arbeitstag durchtakte.

… aber ein bisschen schon.

Klar, mit der Zeit frage ich mich durchaus selbstkritisch, ob ich nicht doch zwischendurch ein bisschen Urlaub mache. Und wenn ja, ob das so schlimm ist. Und ob für digitale Nomaden das Wort „Urlaub“ eigentlich existiert oder eher nicht. Und stelle irgendwann fest, dass mich tatsächlich Anfälle von schlechtem Gewissen plagen, weil ich auch ohne viel Stress Urlaub und Job problemlos zusammenkriege. Darf man das? Die urdeutsche Maxime „Wer Geld verdienen will, muss leiden“ sitzt offensichtlich tief, aber daran kann man arbeiten. Nicht nur auf dieser wunderschönen spanischen Aussteigerinsel, sondern eigentlich auch zuhause, in der schönsten Stadt der Welt.

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