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Fotos 

– Beweissicherung –

Neulich stand ich in einer Ausstellung vor einem Spiegel mit der Aufschrift „YOU ARE STILL HERE“. Wem dieser Beitrag zur zeitgenössischen Kunst zu verdanken ist, habe ich vergessen, aber natürlich habe ich ein Foto gemacht. Und gedacht, stimmt, das ist es wahrscheinlich, was uns das dauernde Fotografieren und Fotografiertwerden liefern soll – die Bestätigung, dass wir immer noch da sind. Am Leben, ausgestattet mit Körper und Stimme, einem Platz in der Welt und der Macht, Dinge zu beeinflussen und zu ändern.

Ein Foto hat immer etwas von Beweisaufnahme. Wir sichern uns ab, weil die Zeit flüchtig ist, wir machen uns den Augenblick zu eigen und trotzen der Vergänglichkeit. Sich allein auf seine Erinnerungen zu verlassen ist riskant. Und es ist eine einsame Sache, es macht ja auch keiner mehr: Ein Urlaub ohne Fotos ist wie ein Urlaub, der nie passiert ist. Sich selbst im Bild festzuhalten – das verankert uns irgendwie im Leben.

Fotografieren

– Auslöser –

Im Sommer hatte ich erstmals ein Fotoshooting, bei dem ich selber fotografiert wurde. Meine Fotos für Website, Business und so weiter waren ebenso in die Jahre gekommen wie ich, nur dass man es ihnen nicht ansah, was mir unfair erschien. Ich hatte mir für diesen Termin eine Fotografin ausgesucht, die Business-Fotografie (jenseits von „Handschlag-vor-zukunftweisender-Glasfront“) wirklich gut hinkriegt, und der ich vor allem zutraute, meine latente Foto-Allergie souverän wegzulachen. Trotzdem geriet ich schon ins Grübeln, während ich noch versuchte, mich der Kamera ganz entspannt und irgendwie authentisch zu präsentieren. Weil mir nämlich während des Shootings im Containerhafen -zig Fragen ganz ungefiltert den Kopf fluteten – zum Beispiel: Was ist eitler, sich gern oder ungern fotografieren zu lassen? („Antje, versuch‘ ein bisschen zu lächeln – nur einen Hauch!“) Ist das tausendste Selfie der verzweifelte Versuch, Selbstbild und Abbildung überein zu kriegen? („Antje, ob du das Kinn mal ein bisschen – ja, so ist das super!“) Ist es leichter, sich von jemand Unbekanntem fotografieren zu lassen oder von einem Vertrauten? („Und jetzt schlenderst du einfach mal auf mich zu, ok?“) Lügen Fotos besser als Worte? („Antje, bitte: Nimmst du mal die Hand aus der Hosentasche?“) Hat die digitale Fotografie unsere Selbstwahrnehmung verändert? Sehen wir heute mehr oder weniger von dem, was uns umgibt? Ob ich mal eine Woche auf Digital Detox mache? („Wollen wir vielleicht erstmal einen Kaffee trinken ?!“)

– Nahaufnahme –

Mit den Antworten hadere ich noch. Was ich an diesem Nachmittag außerdem feststellte: Obwohl heute alle wissen, wie man es macht (GNTM sei Dank), ist es eine überraschend intime Situation, dem Kameraauge so ungeschützt ausgeliefert zu sein. Möglich, dass es Selfie-geübteren Menschen anders geht, aber für mich war es so. Wo speicherst du all die Menschen, denen du beim Fotografieren begegnest? Das war etwas, was ich Fotografin Andrea in diesem Zusammenhang gern gefragt hätte.

PS: Vor 150 Jahren musste man lange stillhalten, bevor so ein Foto im Kasten war: eins, wohlgemerkt, das damit gesetzt war und keinerlei Möglichkeiten der Relativierung bot. Trotz aller Segnungen der digitalen Fotografie – irgendwie hat das was Entlastendes.

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